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Arznei des Monats

- erstellt von Maria Steinbeck, Eschenbach (vgl. Literaturliste unten)

 

Veratrum album

Die weiße Nieswurz oder auch weißer Germer gehört zur Familie der Liliaceen. Die Pflanze wird bis 1,50m hoch und wächst auf Flachmooren und Hochgebirgswiesen in Europa und Asien. Der außen graubraune, innen weißliche Wurzelstock liefert die Ausgangssubstanz für die homöopathische Arznei.

Der weiße Germer ist eine Pflanze, die den Boden stark auslaugt. Der Blütenstand erscheint nach ca. 10 Jahren zum ersten Mal. Die Blütenrispe trägt weiße oder gelbgrüne Blüten, die einen betäubenden Duft verbreiten (Juli-August).

Infolge ungenauer botanischer Beschreibung läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob der in der Antike häufig erwähnte "elléboros leukós" mit Veratrum album identisch ist. Hahnemann vertrat in seiner Habilitationsschrift (Leipzig 1812) diese Ansicht.

Die Anwendung von Veratrum album ist seit dem Altertum, das Mittelalter hindurch und in unserer Zeit mehrfach belegt. Die Pflanze wurde als Brechmittel, Niesen erregende Arznei und Abführmittel verwendet, zur Heilung Wahnsinniger, sowie gegen Ungeziefer eingesetzt.

Die Kenntnis über die Wirkung von Veratrum album entstammt überwiegend Vergiftungsberichten und zum kleineren Teil Prüfungen am Gesunden (Hahnemann).

Der Hauptwirkstoff, Protoveratrin, ist ein Muskel- und Nervengift. Bei einer Vergiftung kommt es zu krampfartiger Zusammenziehung der quergestreiften Muskulatur mit deutlich verzögerter Muskelentspannung. Dies führt zu erschwerter Bewegung, Steifigkeit und Verlangsamung der Bewegung. Zum Vergiftungsbild gehören weiter: Pulsverlangsamung, Erbrechen, Speichelfluß, Temperaturabfall, Zittern am ganzen Körper, Schweiß, Blässe, choleraartige Durchfälle und Störungen des Bewußtseins.

Hahnemann hat Veratrum album bei der Cholera asiatica (trat damals in Europa zum erstenmal auf) mit Erfolg angewandt. Bei verschiedenen Choleraepidemien in Rußland, Indien und Amerika wurde die Arznei auch von anderen homöopathischen Ärzten eingesetzt.

Leitsymptome

Geist und Gemüt

Der Veratrum-Patient ist immer aktiv. In ihm steckt eine Kraft, die ihn zu ständigem Tätigsein zwingt.

An Verat-Kindern ist eine außerordentlich rasante geistige Entwicklung zu beobachten. Frühreif, wie sie sind, haben sie fast die Auffassungsgabe eines Erwachsenen. Aber diese geistige Überreizung drückt sich auch körperlich aus: sie zeigen eine außerordentliche motorische Unruhe. Sie spielen ohne Unterlaß, malen, singen oder beschäftigen sich ununterbrochen mit der gleichen Tätigkeit. Die ausdauernde Überaktivität des Kindes kann sehr nervenaufreibend sein. Mit ihrem Verhalten verlangen sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern, was bis zum Vortäuschen von Krankheiten führen kann. Die aus dieser Spannung resultierende innere Frustration führt zu Ungehorsam und Verhaltensstörungen, wie Zerschnipseln von Papier, Aufeinanderstapeln von Gegenständen und Zerreißen oder Zerschlagen von Gegenständen. Wenn das Kind bestraft wird, zeigt es keine Gefühle - es scheint emotional extrem distanziert oder „knallhart" zu sein. In solchen Fällen ist auch an Tarentula, Anacardium, Stramonium, Sulfur oder Hyoscyamus zu denken. Wenn Kinder schon in frühem Alter von zu Hause fortlaufen, könnte eine Verat-Pathologie dahinterstecken.

Wie die Pflanze den Boden auslaugt, so saugt die Veratrum-Persönlichkeit ihre Mitmenschen aus. Die Krankheit wird später auch den Betroffenen die Lebenssäfte und -kräfte entziehen. Erwachsene können unglaublich lange und ausdauernd arbeiten. Oft sind es allerdings ziellose Aktivitäten. Es ist im frühen Stadium schwer, in der unaufhörlichen Aktivität die Pathologie von Veratrum zu erkennen. Erst in späteren Stadien, nämlich dann, wenn der Kranke Selbstüberheblichkeit zeigt, wird der Veratrum-Charakter deutlich.

Der Drang, etwas Besonderes sein zu wollen, ist dann beim Erwachsenen ausgeprägter. Wie schon das Kind, stellt auch er an seine Umgebung große Ansprüche, verlangt unentwegt nach Bestätigung und ist ständig bestrebt, die Aufmersamkeit anderer auf sich zu lenken. Er will eine angesehene, erfolgreiche und machtvolle Stellung erreichen. Sein Tätigkeitsdrang und seine Forderungen sind berechnend und gezielt. Er ist über alle Maßen ehrgeizig und versucht, sein Ziel entweder mit Schmeicheleien oder mit Vorwürfen und Kritik zu erreichen. Er neigt dazu, seine eigenen Mängel zu projizieren. Er ist gereizt, streit- und tadelsüchtig. Er will seine Fehler nicht einsehen, reagiert aber beleidigt, wenn andere nicht voll des Lobes über ihn sind. Seine hochgesteckten Ziele lassen sich nicht mit der Realität in Einklang bringen, und so werden seine Maßstäbe immer weltfremder. Er hält sich vielleicht selbst für den einzig geistig Gesunden, alle anderen dagegen für verrückt. Er hat das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein, eine besondere Mission oder Aufgabe erfüllen zu müssen und benimmt sich dabei überheblich und hochmütig. Auch seine moralischen Vorstellungen sind stark überzogen - was er tut, ist moralisch, was die anderen tun, ist unmoralisch. Oft ist er selbst nicht in der Lage, seine ethische und moralisch hohen Anforderungen zu leben, und dann rettet er sich durch Unehrlichkeit und Flucht aus seinen selbst gelegten Schlingen.

Das Auseinanderklaffen seiner Wunschwelt und der Wirklichkeit, seiner Überzeugung und seiner tatsächlichen Lebensweise, lassen schließlich schwere Schuldgefühle entstehen. Da sich die moralische Unfehlbarkeit als Verlogenheit herausstellt, gerät der Kranke immer mehr in Verzweiflung um sein Seelenheil. Seine Intoleranz und Selbstüberschätzung bringen ihm Konflikte ein, denn er muß bei sich die menschlichen Schwächen und die unbequeme Sexualität unterdrücken, um sein häufig gepredigtes Bild von Reinheit und Keuschheit zu wahren.

Da er sich über seine eigene Persönlichkeit nicht im klaren ist, erliegt er einer Täuschung über seine eigene Identität. Er hält sich für eine große, verstorbene Persönlichkeit, die wieder auferstanden ist, um die Welt zu retten, ja selbst für Christus. Er wird nicht müde, Reue und Buße zu predigen. Erstaunliche Ausdauer läßt sich auch hier beobachten. Die ständige Aktivität ist bestens geeignet, seine intensiven Ängste zu verdrängen. Sobald er aber zur Ruhe kommt, bricht die Energie in Form von Angst und Depression über ihn herein. Erregungsphasen wechseln mit melancholischen Zuständen ab. Während der depressiven Phase der Psychose brütet und schmollt er vor sich hin, weigert sich zu reden, verfällt in tiefe Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung über sein Seelenheil.

Bei stärkerem geistigem Verfall wechseln manische Phasen mit depressiven Krisen ab. In seiner Manie reißt er sich schamlos die Kleider vom Leib, flucht, singt und schreit. Unaufhörliches Beten kann mit äußerst öbszönen Äußerungen abwechseln. Je mehr im Verlauf der Krankheit der Patient die Macht über seinen Verstand verliert, desto stärker kommt sein verdrängter Triebkonflikt in Form von Obszönitäten wieder zum Vorschein. Er spuckt und beißt, wirft mit Gegenständen, zerreißt oder zerschneidet Kleider und Dinge aus seiner Umgebung.

Eine Zusammenfassung von Veratrum album als Arznei für Kinder, finden wir in dem Buch von Dr. Enders: "Bedrohte Kindheit".

Einige Gemütssymptome in Kürze:

Veratrum-Personen sind unverschämt, wichtigtuerisch, selbstüberheblich, hochmütig, arrogant oder dumm und hochmütig. Sie zeigen albernes Benehmen, sind geschwätzig, geziert und lügnerisch. Sie sind hinterlistig, feig, neigen zu Verleumdung, tadeln und beschimpfen andere. Sie selbst sind aber leicht beleidigt, vor allem bei Widerspruch.

Sie können aber auch froh, heiter und guten Mutes sein.

Sie neigen dazu (besonders vor Menses), alle zu küssen und zu umarmen, sogar leblose Gegenstände. Vor der Periode sind sie besonders fleißig und geschäftig, was sich bis zur Arbeitswut steigern kann. Geistige Erschöpfung und allgemeine Gedächtnisschwäche gehören ebenso zum Arzneibild.

Während einer Psychose zeigt sich die extreme Seite . Der Patient wird wütend, rasend, gewalttätig, mutwillig, boshaft, er gerät außer sich, stampft mit den Füßen, beißt, zerstört und zerreißt Kleider und Gegenstände. Er hat kein moralisches Empfinden und verhält sich schamlos. Er versucht aus dem Bett zu fliehen oder will aus dem Fenster springen.

Kälte, Erschöpfung, reichliche Absonderung

Das Symptom Kälte ist für Veratrum album sehr charakteristisch. Es gibt kaum eine Erkrankung ohne das Begleitsymptom Kälte. Alle körperlichen und auch psychischen Verat-Erkrankungen können von großer "Kälte des ganzen Körpers" und von kaltem Atem begleitet sein.

Kollaps, schwere Schmerzzustände, Regelbeschwerden, Durchfall, Erbrechen, Rheuma, Vergiftung, akute Infektionen, Migräne, Neuralgien, Bronchitis, Keuchhusten, Herzinfarkt, Cholera, Typhus, manisch-depressive Psychosen usw. werden von Kälte, Erschöpfung und/oder reichlichen Absonderungen begleitet.

Der Kranke ist matt und erschöpft; er ist eiskalt mit kaltem Schweiß auf der Stirn; blaß oder mit bläulich verfärbter Haut; er hat das Gefühl, als ob Eiswasser durch seine Adern rinnen würde; die Kopfhaut ist kalt; eiskalt die Extremitäten; Kältegefühl im Magen oder Bauch. Trotzdem verlangt er nach eisgekühlten (und sauren!) Getränken, die er in großen Mengen trinkt und sofort wieder erbricht.

Alle körperlichen Veratrum-album-Erkrankungen führen zu großer Erschöpfung und Erschlaffung. Reichlich kalter Schweiß tritt besonders an der Stirn und im Gesicht auf. Schon die geringste Anstrengung läßt den Schweiß ausbrechen, sowie die geringste Bewegung das Erbrechen auslösen kann.

Alle Ausscheidungen sind reichlich (Unterschied zu Arsen). Das Erbrechen erfolgt plötzlich und schwallartig; der Durchfall kommt plötzlich und in großen Mengen; die Periode ist reichlich mit großen Schmerzen. Obwohl normalerweise großer Durst auf eiskalte (!!!) und saure Getränke besteht, kommt bei Magen-Darm-Entzündungen auch Durstlosigkeit vor. Sie trinken dabei (wie ars) nur sehr wenig - aber im Gegensatz zu ars kalte Getränke. Dann ist Flüssigkeitsverlust groß und es kommt zu Dehydration. Krämpfe sind die Folge des Calcium-, Kalium- u. Magnesium-Verlustes. Die Muskeln zucken und an den Waden kommt es zu schmerzhaften Muskelkrämpfen. Ein ähnliches Symptomenbild finden wir bei Cuprum, Camphora, Secale, Podophyllum oder Arsen.

Kopfschmerzen

Verat macht lästige Kopfschmerzen neuralgischer Art von großer Heftigkeit, begleitet von Kälte, von Galle- und Bluterbrechen, starker Erschöpfung und reichlichem Schweiß. Erbrechen und Würgen, auch wenn der Magen schon leer ist.

Heftige Blutwallungen zum Kopf bei gleichzeitiger Kälte der Extremitäten. Der Kopf fühlt sich wie in Eis eingepackt an oder wie wenn ein Eisblock auf dem Scheitel wäre.

Periode, Wochenbett und Wechseljahre

Für Verat ist eine schwere Dysmenorrhoe mit Kälte, Erbrechen, Durchfall und Schwäche / Entkräftung charakteristisch, häufig mit starker sexueller Erregung verbunden.

Auch Wochenbett-Psychosen gehören zum Arzneibild von verat; schwätzend oder apathisch sitzen solche Frauen dann im Bett, zerreißen ihre Kleider oder andere Gegenstände; abwechselnd beten und fluchen sie, in der Meinung, der Teufel kämpfe mit ihnen.

In den Wechseljahren ist übermäßiges sexuelles Verlangen nicht selten; Verat-Frauen wünschen sich einen Sexualpartner, vertragen aber weder Wärme (körperlich und seelisch!) noch Zuneigung. Sie verhalten sich sinnlich, erotisch bis schamlos, gebärden sich albern und verliebt, reden viel und wollen alle küssen und umarmen.

Vergleich: Veratrum - Arsen (nach Douglas Borland)

Arsen wird als typisches Mittel bei Nahrungsmittelvergiftung mit Durchfall und Erbrechen angesehen und automatisch gegeben, obwohl eine Anzahl solcher Fälle Verat erfordert.

Für dieses Mittel sind gußweise Entleerungen charakteristisch, sei es als Erbrechen oder als Durchfall, sogar mehr noch als für Arsen. Die Menge der verlorenen Flüssigkeit ist beträchtlich. Oft ist der Stuhl von Verat geruchlos.

Der Patient ist immer eiskalt und seine Haut bläulich verfärbt. Diese Patienten sehen ebenso spitz wie Arsenpatienten aus. Sie sind in Schweiß gebadet, obwohl sie große Flüssigkeitsmengen aus dem Darm verloren haben. Der Schweiß ist nicht so klebrig wie bei Carb-v, aber er ist kalt und die Patienten frieren. Verat hat Schweiß überall, anders als Carb-v, das vor allem an Händen und Füßen sowie im Gesicht schwitzt.

Eine weitere Indikation für Verat ist die tödliche Erschöpfung nach den Entleerungen. In ernsten Fällen mit ununterbrochenem Erbrechen und Durchfall kann es zu Bewußtlosigkeit kommen. Einen Patienten mit akutem Brechdurchfall, der reichlich schwitzt und ausscheidet und zu Ohnmacht neigt, erleichtert eine Gabe von Verat schnell.

Literatur
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