Heilonias
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Die Kraft der Kräuter


Es war Mittagszeit, als Paracelsus mit Hahnemann im Örtchen Dudena zu Tische im Gasthof „Zu den Zwölf Pferden“ saß. Beide hatten sich zu einer kleinen Kräuterwanderung verabredet und wollten zuvor noch gut speisen, um so im Leib durch ein gutes Essen und in der Seele mit der frohen Hoffnung gerüstet zu sein, einige wichtige Heilkräuter auf ihrer Wanderung zu finden. Der Gasthof, in dem sie speisten, hatte nicht von ungefähr seinen ungewöhnlichen Namen erhalten, da er die Form eines Hufeisens hatte und draußen auch ausgedehnte Stallungen, eine Sattlerei und ein Schmied vorhanden war, der auch mal für ein Pferd ein Hufeisen herstellen oder es beschlagen konnte. Hier hielt die Postkutsche und von hier aus begannen häufig größere Unternehmungen oder Reisen. Paracelsus und Hahnemann saßen genau in der Mitte des Gasthofs zu den 12 Pferden an der äußeren Seite der Basis des hufeisenförmigen Us, als die Tür aufflog, und von der oberen Stirnseite her eine Gruppe von Leuten lautstark lärmend den Gasthof betrat und sich noch nach freien Plätzen umsah.

Ha, Professor Galen und seine Bande. Was die hier wohl wollen?“ kommentierte Paracelsus das Geschehen.

Professor Galen und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der Magister Ordinarius Dr. Dr. Kleinzwerg näherten sich im Pulk ihrer Studenten dem Tische von Paracelsus und Hahnemann. Die Studenten hatten ihre typischen Käppis auf dem Kopf und einige trugen auch ihre Burschenschaftskleidung und den dazugehörigen Degen im Schaft. Wieder andere hatten sich mehr aufs Trinken verlegt, was sich an ihrem etwas unsicherem Gang und den kopfgroßen Bierkrügen in der Hand zeigte, die offensichtlich schon halb oder ganz geleert worden waren.

Grüß Gott, die Herren Kollegen.“ warf Hahnemann den beiden als kurzen Gruß zu, „auch heute bei diesem schönen Herbsttag unterwegs? Wohin geht´s denn?“

Ah, die Herren Naturheilkundler“, entgegnete Galen und warf einen kurzen, spöttischen Blick auf seinen Assistenten Dr. Dr. Kleinzwerg, so als ob er sich über das Wort Naturheilkundler lustig machen wollte, wandte sich dann aber wieder Paracelsus und Hahnemann zu und sagte: „Unsere Forschungen treiben uns mal wieder in die schöne Natur. Nichts geht doch über die Anschauung des Objekts in natura selbst. Wir machen eine botanische Wanderung und wollen verschiedene Pflanzenfamilien am lebenden Objekt katalogisieren.“

Na, dann viel Erfolg.“ wünschte Hahnemann, „wir sind ebenfalls zu einer Kräuterwanderung aufgebrochen und wollen Kräuter finden und sammeln.“

Galen nickte und er und sein Assistent suchten sich noch einen anderen freien Tisch, um sich dann etwas abseits von ihren Studenten niederzulassen und die Karte des Gasthofs zu studieren.

Kaum hatten sie sich niedergelassen, schwang die Mitteltür direkt gegenüber vom Tisch der beiden „Naturheilkundler“ auf. Der gelbe Kaiser trat ein und hielt Hildegard höflich die Tür auf. Sie erblickte Hahnemann und Paracelsus zugleich und begrüßte die beiden:

Na, ihr zwei Hübschen. Ihr seid auch hier? Das ist ja eine Überraschung.“ und schon waren der gelbe Kaiser, ein weiterer Chinese und Hildegard am Tisch von Paracelsus und Hahnemann und ließen sich dort nieder.

Ganz schön voll hier.“ sagte der Gelbe und schaute sich um.

Ja, Professor Galen, sein Assistent Dr. Dr. Kleinzwerg und eine Schar Studenten - wohl offensichtlich aus dem botanischen Fach - wollen heute eine Kräuterwanderung unternehmen, oder besser gesagt Pflanzen nach ihrer botanischen Zugehörigkeit katalogisieren.“ antwortete ihm Hahnemann.

Oh, ich bin unhöflich. Darf ich vorstellen?“ entschuldigte sich der Gelbe und mit einem Blick auf die dritte Person, den Chinesen sagte er: „Hua To, seines Zeichens auch ein exzellenter Akupunkteur und Kräuterarzt, zugleich aber auch eine Größe im Bereich des Qi Gong, der Kampfkunst und Kalligraphie und nicht zuletzt ein begabter Musiker.“

Sehr angenehm“ errötete der neue Gast angesichts lauter Lobhudelei, „sehr erfreut Sie kennenzulernen.“ sagte er.

Ich habe Ihnen schon von meinen anderen Kollegen aus Heilonias erzählt“ sagte der Kaiser zu Hua To, „nun haben Sie die Gelegenheit, diese auch einmal leibhaftig kennenzulernen: Darf ich vorstellen: Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus - unser Alchemist, Astrologe, Arzt und profunder Kenner der hermetischen Künste und Gottfried Samuel Hahnemann, der Begründer der segensreichen Homöopathie.“

Hua To verbeugte sich tief vor den beiden und sagte: „Es ist mir eine Ehre, solche berühmten Männer kennenzulernen zu dürfen.“ und setzte sich dann ebenfalls an den Tisch.

Die meisten Studenten der Botanikgruppe hatten sich mittlerweile auch niedergelassen und orderten lautstark eines der typischen Studentengetränke aus Furonia: Würzig schmeckendes Sauerbier, welches mit drüsentragendem Springkraut, Impatiens glandulifera, angesetzt war und dazu diente, physische und geistige Kraft für Studien zu sammeln, aber auch um übermäßige Zechereien durchzuführen.

Auch Hahnemann und Paracelsus hatten noch nicht bestellt und studierten die Speisekarte.

Hm, ich glaube ich muß meine Leber etwas in Gang bringen, in letzter Zeit habe ich wohl doch etwas zu wenig Galle“, sagte Paracelsus, „ich werde mir wohl erst mal diesen Magenbitter mit Herbstenzian genehmigen. So rechter Hunger will irgendwie nicht aufkommen. Aber wenn wir es heute wirklich bis Jejuno schaffen wollen, sollte ich vorher schon gut gegessen haben.“

Ich für meinen Teil werde mir diese leckere schwarze Carbo-Limo bestellen“, sagte Hildegard, „wie heißt sie doch genau?“

Nahygen-Cola.“

Ach genau, ein wirklich leckeres Gesöff.“

Die Gastwirtin näherte sich dem Tisch, eine recht beleibte, füllige Frau, die es aber mit einer unnachahmlichen mütterlichen Art immer wieder schaffte, daß jeder Gast sich sofort wie zu Hause fühlte.

Ah, die Doctores wieder an einem Tisch vereint?“ begrüßte sie die illustre Gesellschaft, „und sojar Besuch aus Fernost dabei?“

Hua To sprang wieder auf und verbeugte sich abermals tief vor der Gastwirtin Frau Kreas, was diese abwinkte: „Schon jut, schon jut, junger Mann, bemüh´n Se sich nicht so, bin keine Berühmtheit. Was darf´s denn heute sein?“

Ah, meine liebe Pan“, begrüßte sie der gelbe Kaiser, „was könntest du uns denn heute empfehlen?“

Ja, wir hätten heute Leber im Angebot, oder darf es eher etwas ohne Fleisch sein?“ und sie blickte auf den Besuch aus Fernost.

Na was macht denn eigentlich dein Bruder Gerd?“ mischte sich Paracelsus ein, der sich schon nach ihm umgeschaut hatte.

Ach, der müßte noch draußen bei den Pferden sein. Heute morjen is´ ihm wieder die Galle hochjekommen. Wir hatten doch jestern so ´ne Hochzeitgesellschaft hier zur Feier. Da haben sich einige wohl überfressen und übertrunken. Heute morjen durfte er die sauer riechende Lache im Hof wieder aufwischen. Das hat jestunken, sa´ich euch.“

Ah Paracelsus, altes Haus“ und Gerd, der unbemerkt von hinten an den Tisch herangetreten war, knuffte Paracelsus freundschaftlich in die Rippen.

Ufff“ und Paracelsus mußte kurz husten, da der freundschaftlich gemeinte Begrüßungsschlag von Gerd Gall angesichts der Körpergröße und Stärke von ihm nicht gerade zimperlich ausgefallen war.

Hallo Gerd, und was machen die Pferde?“, fragte Paracelsus ihn, nachdem er sich von seinem kurzen Hustenanfall erholt hatte.

Ah, fast alles bestens, aber du mußt mir noch mal deine Wundertinktur für den Schwarzen dalassen. Also es hat wirklich fantastisch geholfen, aber die Medizin geht zur Neige, und ich fürchte, der Schwarze hängt wieder in den Seilen, wenn ich nichts mehr davon habe.“

Eine Horde von Kindern jagte plötzlich durch die aufgerissene Tür des Gasthofs in die Wirtsstube, um mit ohrenbetäubenden Lärm eine Art Verfolgungsjagd in einem Spiel mit Indianer und Cowboys aufzunehmen. Gerds gewaltige Stimme dröhnte und übertönte sogar noch das Geschrei der Kinder: „Aaah, ihr Bälger, macht ihr, daß ihr schleunigst rauskommt, ihr habt hier nichts zu suchen“ - drohend schwenkte er die Faust und nahm selbst die Verfolgung der bereits flüchtenden Kinder auf.

Alle lachten und nachdem sie sich so begrüßt und ausgetauscht hatten, bestellten sie das Essen und langten kräftig zu.

Wer ist eigentlich der Mann neben Professor Galen?“ fragte nach dem Essen Hua To, der zwar von Galen als der Autorität der Schulmedizin aus Heilonias bzw. Furonia gehört hatte, aber seinen Assisistenten noch nicht kannte.

Hm, das ist sein Assistent, der Herr Magister Ordinarius Dr. Dr. Kleinzwerg. Nein, nein, nicht gleich wieder aufspringen, Hua To.“ hielt der gelbe Kaiser Hua To zurück, „auch wenn der Titel gewichtig erscheint, Schein und Sein sind manchmal zwei sehr verschiedene Dinge.“

Hm, ich verstehe nicht ganz?“ fragte Hua To.

Nun, Kleinzwerg hat zwar viele Titel, aber hinter denen kann man sich auch gut verstecken. Sein Spitzname ist auch „der Minister“, denn er stellt praktisch Galens rechte Hand dar, organisiert alle seine Seminare, ist ihm stets zu Diensten, übernimmt die eher unangenehmen anfallenden Arbeiten im Lehrbetrieb der Universität und wahrscheinlich hofft er, irgendwann mal den Posten seines Chefs zu übernehmen.“ erläuterte Hahnemann.

Ja, ja, nach oben buckeln, nach unten treten, das sind sie, die falschen Fuffziger.“ meinte Paracelsus herablassend.

Na, nun sei nicht so ungerecht“ warf Hildegard ein, „immerhin macht er auch die ganzen Routine- und Drecksarbeiten, die sein Chef nicht machen will. Also fleißig ist er schon.“

Ja, so fleißig wie ein Erbsenzähler nur sein kann.“ erwiderte Paracelsus erneut. „Hm, diese Weißkittel, diese Lackaffen. Sie glauben, sie hätten die wissenschaftliche Weisheit mit Löffeln gefressen und dabei irren sie in einem Labyrinth von Falschheiten und persönlichen Anmaßungen herum.“

Woher diese Feindschaft?“ fragte Hua To verwundert.

Paracelsus und Kleinzwerg sind nicht nur einmal aneinandergeraten, mein lieber Hua To“, sagte der Gelbe, „Kleinzwerg ist der Vorsitzende des Vereins zur skeptischen Untersuchung paranormaler Umtriebe, und regelmäßig versuchen sie, durch Doppelblindstudien medizinische Scharlatane zu entlarven, wie sie es nennen. Sie sind recht voreingenommen, muß man sagen.“

Voreingenommen?“ platzte es aus Paracelsus heraus, „eher doppelblind auf beiden Augen und Ohren.“ empörte er sich lautstark, so daß am Nebentisch Galen und Kleinzwerg aufhorchten und zu Paracelsus ärgerlich hinübersahen.

Ah, allein schon der Name, Kleinzwerg.“ sagte Paracelsus wieder etwas leiser in die eigene Runde, „Er macht ja seinem Namen alle Ehre, zumal er ja wirklich nicht größer als 1,70 m ist, dieser Kleinzwerg. Diese Körpergröße spiegelt bei ihm ja auch exakt seinen inneren Minderwertigkeitskomplex wieder, den er mit seinen vielen Titeln und seiner wissenschaftlichen Hochmut zu kompensieren sucht. War es nicht er, der in der medizinischen Fakultät zu Furonia vorgeschlagen hat, den Bückling vor dem Lehrpersonal für Studenten obligatorisch fest vorzuschreiben? Ist man nichts, muß man sich und anderen ständig das Gegenteil beweisen, indem sich andere vor einem zu krümmen haben.“

Na, jetzt lass dir die Galle nicht ganz überlaufen, mein lieber Theophrastus“, beschwichtigte ihn Hahnemann. Laß uns nun lieber mal wieder in die freie Natur schweifen und nach Kräutern Ausschau halten. Mir ist mein Bärlapp ausgegangen und ich bräuchte dringend wieder einige Kräuter für meine Potenzen.“

Auch die anderen Gäste hatten ihr Mittagessen beendet und schickten sich an zu zahlen und zu gehen, so daß kurze Zeit später die Wandergruppe bestehend aus Paracelsus, Hahnemann, Hildegard, gelber Kaiser und Hua To einem größeren Pulk von Botanikstudenten mit Galen und Kleinzwerg an der Spitze in einigem Abstand folgte. Der Weg schlängelte sich recht stark durch die Lande und waren anfangs noch viele Kräuter und Büsche auszumachen, so wurde die Landschaft kärger und ärmer an Kräutern je mehr sie sich dem Städtchen Jejuno näherten. Die Landschaft selbst war in dieser Gegend nicht besonders fruchtbar, ja im Gegenteil sogar sehr arm und rauh, dafür wuchsen hier in der Wildnis sehr wertvolle, meist bittere Wildkräuter, die man in der Nähe der großen Menschenansiedlungen fast nicht fand.

Die Kräutersäckchen von Hahnemann und Paracelsus waren schon fast voll, als sie sich gegen halb drei Uhr nachmittags einem Waldstückchen mit sehr viel Schachtelhalm und Bärlapp näherten.

Ah, endlich komme ich zu meinem Bärlapp“, seufzte Hahnemann erleichtert auf, als er die Pflanzen sah. Vor ihnen war bereits die Botanikgruppe auf dem Weg stehengeblieben und Kleinzwerg hatte sich umgedreht und dozierte gerade über das Bärlappgewächs, als die Gruppe der Naturheilkundler aufschloß. Hahnemann wollte gerade einige Exemplare des Krauts ernten, als der „Minister“ Magister Ordinarius Dr. Dr. Kleinzwerg ausführte:

Name: Lycopodium clavatum, auf deutsch Keulenbärlapp oder Schlangenmoos, gehört zur Familie der Lycopodiaceae (Bärlappgewächse), die botanisch der Gattung der Farne zuzuordnen sind. Der Name setzt sich zusammen aus griechisch lycos =“Wolf” und pos =“Fuß”, wohl weil die dichtbeblätterten Zweige entfernt einem Tierfuß ähneln. Lateinisch bedeutet clavatum =“Klaue”. Es bezeichnet die Sporenstände.

Vorkommen: Die Pflanze bevorzugt trockene Stellen und wächst gerne im Schatten der Bäume. Der Keulenbärlapp kriecht mit bis zu einen Meter langen, spärlich verwurzelten Stengeln am Waldboden hin (Schlangenmoos). Er ist mit kleinen, spitzen und immergrünen Blättchen besetzt. Davon abgehende, aufrechte und bis zu zehn Zentimeter hohe Sprosse tragen die Sporangienähren (“Keulen”), welche die Sporen beinhalten. Daher auch der Name Keulenbärlapp.

Die Pflanzen erreichen erst nach 10 -15 Jahren ihre Geschlechtsreife. Die dann in gelben Wolken ausgestoßenen Sporen wiederum keimen erst nach 6-7 Jahren und bilden einen winzig kleinen Vorkeim (Gametophyt).“

Paracelsus spöttelte hinter vorgehaltener Hand: „Es soll ja auch manche Menschen geben, die recht spät zur Geschlechtsreife gelangen, dann viel Wind darum machen und es überall ausposaunen, wie potent sie seien, es aber mit dem Geschlechtskeim so halten, daß sie häufiger zu hören bekommen: Nur 2 cm weniger und du wärst ein Mädchen geworden.“

Kleinzwerg konnte dies nicht hören und fuhr unbeirrt in seinem Vortrag fort: „Bei den Bärlappgewächsen handelt es sich um die ältesten, mindestens seit dem Silur lebenden Gefäßpflanzen. Zusammen mit anderen Farnen und den Schachtelhalmen bildeten sie die riesigen Urwälder des Karbons (vor ca. 6oo Mio. Jahren). Die heute ausgestorbenen Schuppenbäume hatten eine Größe von bis zu 40 Metern, baumartige Vorfahren des Keulenbärlapps selbst wiesen immerhin stattliche zwei Meter auf. Wir haben es also mit einer der ältesten heute noch lebenden Pflanzen zu tun - es hat die Eiszeit überlebt und früher einen gewaltigen Raum auf dieser Erde eingenommen. Ehemals war Lycopodium ein aufrecht in den Himmel wachsender Baum, heute liegt er flach auf der Erde. Die Sporen enthalten zu 40-50% ein fettes, gelblichgrünes Öl und nur einen verschwindend geringen Anteil Wasser. Bei dem Ausgangsstoff handelt es sich um die äußerst zähen Sporen einer uralten, heute unscheinbaren Pflanze.“

Paracelsus murmelte: „Die Seele des Pulvers ist trocken! Sie trägt in sich die Aversion zum Wasser, zum Gefühl. Gleichzeitig zeigt die Zähigkeit und Kleinheit der Pflanze: Verminderung zugunsten des Überdauerns. Soviel zur Signatur der Pflanze.“

Kleinzwerg sagte: „In der Pharmakologie ist es ein völlig nutzloses Kraut, nur die Anhänger der sogenannten Naturheilkunde glauben in dem Kraut irgendwelche Heilkräfte entdeckt zu haben. Aber die Kurpfuscher und Scharlatane glauben ja viel, wenn der Tag lang ist.“ und spöttisch schaute er zu Paracelsus und Hahnemann hinüber.

Da muß ich widersprechen, werter Kollege.“ ließ sich Hahnemann hören, „Lycopodium clavatum kommt in meiner Praxis sogar gar nicht selten zum Einsatz. Es ist ein viel gebrauchtes Medikament für eine Vielzahl von körperlichen und psychischen Leiden. Das zeigen mir Tag für Tag die Patienten meiner Praxis.“

Ach, papperlapapp“ mischte sich Galen in das Gespräch, „das sind doch alles Placebo-Wirkungen. Das kommt doch nicht von den homöopathischen Medikamenten. Das ist alles auf die Einbildung der Patienten zurückzuführen.“ behauptete Galen.

Ja, genau, Herr Professor“, stimmte Kleinzwerg Galen geflissentlich zu, „sehr richtig, Herr Professor, wir haben erst kürzlich eine Doppelblind-Studie mit homöopathischen Studenten aus Wassania durchführen wollen und alle haben kläglich versagt - sie waren sich sogar nicht mal einig, welches homöopathische Medikament sie dem Kranken verabreichen wollten.“

Man kann nicht mit Doppelblindstudien die Homöopathie beweisen oder widerlegen“, sagte Hahnemann, „dafür arbeitet man viel zu individuell am kranken Menschen, als daß man mit Schema F jeden Kranken mit Krankheit K behandeln könnte.“

Dann ist es unwissenschaftlich und sowieso völliger Humbug!“ ereiferte sich Kleinzwerg und triumphierte mit strahlendem Gesicht.

Ah, Kleinzwerg, gut, daß ich Sie treffe“, platzte Paracelsus heraus.

Für Sie immer noch Magister Ordinarius Dr. Dr. Kleinzwerg, wenn ich bitten darf.“ herrschte ihn Kleinzwerg an.

Oh, Verzeihung, Herr Magister Ordinarius Dr. Dr. Kleinzwerg. Ich hätte da eine wissenschaftliche Frage an Sie, die wir erst vor kurzem in unserer Fakultät zu Holzonia diskutiert haben, zu der wir allerdings damals keine wissenschaftlichen Resultate liefern konnten. Sie können mir vielleicht weiterhelfen, Herr Magister Ordinarius Dr. Dr.?

Nun, wenn es sich um wissenschaftliche Erkenntnisse handelt, so bin ich neben meinem hochgeschätzten Chef, Herr Prof. Dr. von Galen sicher immer der richtige Ansprechpartner.“ fühlte sich Kleinzwerg geehrt.

Ja, wissen Sie, Herr Magister Ordinarius Dr. Dr. Kleinzwerg, wir haben nämlich in unserer Fakultät die Funktion der Dünndarmwand in Bezug auf Resorption und Funktion diskutiert und sind leider nicht zu einheitlichen Ergebnissen gekommen. Könnten Sie uns freundlicherweise diese Funktion etwas näher erläutern?“ fragte ihn Paracelsus scheinheilig.

Aahh! Mein Spezialgebiet. Ich schreibe doch gerade meine dritte Doktorarbeit genau über dieses Thema. Da sind Sie genau an den richtigen Experten geraten. Nun, mit der Funktion der Dünndarmresorption verhält es sich also wie folgt:

In der Mukosa, der Schleimhautschicht des Dünndarms, befinden sich also die Dünndarmzotten (Ausstülpungen) und Krypten (Einsenkungen). Die Zotten bestehen aus Epithelzellen (Saumzellen) und dienen der Vergrößerung der Dünndarmoberfläche, so daß eine optimale Resorption gewährleistet wird. Die Zylinderepithelzellen sind mit sogenannten Mikrovilli besetzt. Dabei handelt es sich um kleinste Ausstülpungen der Zelloberfläche, welche die Oberfläche nochmals erheblich vergrößern.“

Werter Kollege, interpretiere ich Ihre Ausführungen richtig, wenn ich Sie so verstehe, als daß übertragen auf die makrokosmische Ebene es zottige Zeitgenossen gibt, die sich schwer hervortun wollen, um eine vermeintlich kleine Oberfläche künstlich durch Sprache, Wort und Forschung zu vergrößern, dabei aber für die Allgemeinheit eher kryptisch und unverständlich wirken, indem Sie sich hinter Ihren Ausstülpungen verstecken und abermals ihre potenzarmen Mikro-Willis zur Vergrößerung der Resorption sprich Eindrucks bei ihrer Umwelt bemühen, die aber trotz allem einfach klein bleiben?“ fragte Paracelsus nach.

Äh, wie meinen?“ versuchte Kleinzwerg diese Interpretation irgendwie in seine gerade gemachten Ausführungen einzuordnen, verstand aber nicht ganz, worauf Paracelsus hinauswollte.

Also, in jedem Fall ist es nach meinen Forschungen so“, entschied er sich einfach fortzufahren, „daß in das einschichtige, kubische Zylinderepithel schleimproduzierende Becherzellen eingelagert sind. Ihre Anzahl nimmt analwärts ständig zu. In den Krypten befinden sich auch die Lieberkühn´schen Drüsen. Sie produzieren Schleim, Hormone und Enzyme. Sie enthalten auch undifferenzierte Zellen zur Regeneration der Schleimhaut, die sich alle 3 Tage erneuert. Zudem gibt es eine dünne Eigenmuskelschicht, die Lamina muscularis mucosae.“

Paracelsus unterbrach ihn erneut: „Ah, verstehe, wenn es den zottigen Zeitgenossen also nicht gelingt, trotz ihrer vergeblichen Vergrößerungsversuche Eindruck zu schinden, schleimen sie sich bei ihrem Professor ein und laden ihn zu einer Becherei ein, wobei bei solchen Gelagen die schleimbildenden Assistenten immer mehr analwärts kriechen und sich lieber in Kühnheit als Schleimscheißer völlig undifferenziert alle drei Tage wieder regenerieren müssen, da ja die eigene Muskelschicht eh nur dünn ist?“ zog Paracelsus über Kleinzwerg her.

Kleinzwerg hatte nun begriffen und mit hochrotem Gesicht schrie er nur: „Sieeee!“ und wollte sich auf Paracelsus stürzen, wurde aber durch die nun mittlerweile lachenden Studenten aus Furonia zurückgehalten. „Und Sie hören sofort auf zu lachen, Sie undankbares Studentengesindel“ schrie er weiter. „Lassen Sie mich gefälligst los, was fällt Ihnen ein?“

Oh, bitte nicht schlagen, oho, er will mich verhauen, Hilfe, kommt mir zur Hilfe“ spottete Paracelsus gekünstelt weiter. Auch Paracelsus war nicht viel größer als Kleinzwerg, allerdings von einer zähen Konstitution. Er hätte sich durch den hemdsärmeligen Kleinzwerg nicht so leicht unterkriegen lassen. Hahnemann und der Gelbe konnten sich ihr Lachen nicht verkneifen, während Hildegard Paracelsus ungnädig anschaute.

Das wäre doch jetzt wirklich nicht nötig gewesen, oder?“ sagte sie „Ich denke, wir sind doch erwachsen und weise genug, um das bißchen Besserwisserei mit Nachsicht zu ertragen.“

Etwas von Lycopodium LM 6 gefällig?“ fragte Hahnemann den tobenden Kleinzwerg. „Lycopodium paßt hervorragend auf ärgerliche, reizbare und zornige Gemüter, so wie Sie gerade eins haben. Vor allen Dingen dann, wenn Widerspruch nur schwer ertragen wird. Sind Sie dann vom Körperbau vielleicht sogar noch ein mageres Hemd, haben eine etwas trockene Haut und Probleme mit Ihrer Leber und beim Harnlassen, so habe ich schon manche Wunder in meiner Praxis mit der Gabe dieses Mittels erlebt.“

Verschonen Sie mich mit Ihrem Unsinn“ schrie Kleinzwerg nochmals aufgebracht, drehte sich dann zu seinen Studenten um und befahl: „Abmarsch - Sie setzen sich jetzt alle augenblicklich in Bewegung oder es raucht, wenn wir wieder zurück in Furonia sind.“

Die Studenten setzten sich langsam in Trab und trotteten wieder hinter ihren beiden Lehrherren her, die nun zielstrebig nach Jejuno zogen.

Hahnemann erntete nun endlich sein langersehntes Lycopodium und Hildegard fragte dann: „Kannst du mir etwas davon abgeben? Ich habe irgendwie das Gefühl, als ob ich es bald gebrauchen könnte.“

Die Wandergruppe setzte ihren Gang dann fort und konnte erkennen, wie die Botanikgruppe einige hundert Meter vor Ihnen zielstrebig an Jejuno vorbeischritt, um wahrscheinlich so schnell wie möglich nach Ileadum zu kommen. Jejuno war genauso wie die Landschaft, in der es lag - ein eher kärgliches, armes und fast etwas trostloses Städtchen, so daß hier nicht viele Besucher einkehrten. Auch Paracelsus, Hahnemann und die anderen entschlossen sich, hier keinen Halt zu machen, zumal bereits dicke Regenwolken aufgezogen waren und es nur eine Frage der Zeit war, bis es anfangen würde zu regnen. So beschleunigten sie also ihre Schritte und schon bald ließen sie die Regenwolken hinter sich.

Unterwegs sammelten sie noch etliche Pilze auf, wobei es bei manchen gar nicht so leicht war zu unterscheiden, ob diese eßbar waren oder nicht. Aber die geschulten Blicke unserer Medizin-Weisen aus Heilonias wußten diese Aufgabe gut zu meistern. Insbesondere Hildegard war eine echte Kennerin der Materie und wurde in Zweifelsfällen stets von den anderen konsultiert.

Schon bald war am Horizont die Stadt Ileadum zu erkennen. Die Ileader galten als Menschen, die eine fast stoische Ruhe weg hatten. Manche sagten, die Ileader seien sture Böcke und wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hätten, dann wären sie davon nicht so leicht abzubringen. Gleichzeitig waren die Ileader für ihre Kräuterschnäpse sehr berühmt und was paßte besser an das Ende einer Kräuterwanderung, als in einen der Gasthöfe in Ileade einzukehren, sich einen zünftigen Kräuterschnaps zu genehmigen und vielleicht sogar noch einen für zu Hause zu kaufen?

Doch heute lag eine ungewöhnliche Stimmung über Ileade. Es war irgendwie sehr ruhig, aber fast zu ruhig und gespannt. Als sie sich dem Marktplatz näherten, erkannten sie auch, warum.

Um Gottes willen, was passiert denn hier?“ entfuhr es Hildegard mit Entsetzen. Direkt vor ihnen in der Mitte des Marktplatzes war ein riesiger Holzhaufen aufgestapelt, der mit dem in seiner Mitte stehenden Pfahl nur eins sein konnte: Ein Scheiterhaufen. Ein Mädchen aus der Menge sagte:

Heute findet eine Hinrichtung statt. Das Hohe Gericht von Ileade hat die Schneidersfrau Stephanie zum Tode durch Verbrennen verurteilt, weil Sie Ehebruch begangen hat.“

Wie, bitte?“ empörte sich Hildegard, „ja sind wir denn hier noch im Mittelalter? Da könnt Ihr doch nicht tatenlos zusehen?“ entsetzte sie sich und wandte sich an ihre männlichen Wandergenossen.

Die Frau wird sicher von den Soldaten der Stadt bewacht, ich schätze, da kommen wir nicht so leicht durch.“ mutmaßte Hahnemann schulterzuckend.

Ja, aber ihr könnt doch nicht zulassen, daß jemand für Ehebruch umgebracht wird. Das ist doch sicher nicht in Eurem Sinne?“ sagte Hildegard.

Nein, sicher nicht.“ antwortete Paracelsus, „aber was willst du denn gegen eine Schar bewaffneter Soldaten ausrichten? Sollen wir ihnen unsere Kräuter entgegenwerfen?“

Plötzlich erhob sich ein Trommelwirbel und eine kleine Gruppe mit Soldaten eskortierte die gefesselte Frau, die auf einem Karren angebunden von Pferden gezogen wurde, langsam zum Marktplatz. Ein Raunen ging durch die Menge: „Da ist sie...“

Jetzt laßt euch mal was einfallen, ihr weisen Männer“ schimpfte Hildegard verzweifelt, „oder seid ihr etwa nur hinter eurem Katheder oder Schreibtisch weise?“

Die Botanikgruppe von Galen und Kleinzwerg hatte sich auch unter die Schaulustigen gemischt und harrte in gespannter Erwartung, was hier wohl geschehen würde.

Hildegard ging zu Galen und sagte: „Professor Dr. von Galen, ich bitte Sie: Sie können doch hier nicht mit anschauen, wie eine Frau bei lebendigen Leibe verbrannt wird. Tun Sie doch was.“

Gnädigste, Ihre humane Einstellung in Ehren, aber ich habe hier auf fremden Boden keine Befehlsgewalt noch die nötigen militärischen Kräfte, um diese Frau aus den Händen der Soldaten und des Scharfrichters zu befreien.“

Nehmen Sie doch Ihre Studenten zu Hilfe. Da sind doch großgebaute Typen darunter, das müßte doch reichen, um diese Frau dem Tode zu entreißen.“

So unvernünftig kann nur eine Frau denken“ spottete Kleinzwerg, der das Gespräch zwischen Galen und Hildegard mit angehört hatte. „Und nun denkt sie, wir könnten das arme Weib retten. Sehen Sie denn nicht die ganzen Soldaten mit ihren Waffen? Die würden uns doch niedermetzeln, bevor wir auch nur in die Nähe des Scheiterhaufens gekommen wären. Pah, Weiber...“

Der Wagen mit der Frau und den Soldaten näherte sich unter Trommelwirbel immer mehr den aufgetürmten Scheiten, um dann kurz davor anzuhalten. Der Trommelwirbel verstummte. Die Soldaten zerrten die Frau vom Wagen und stießen sie zum Scheiterhaufen, wo sie sie an den Pfahl in der Mitte anbanden. Auf ein leicht erhöhtes Podest, welches neben dem Scheiterhaufen errichtet worden war, stieg der Scharfrichter und verkündete:

Hiermit tue ich heute kund, daß im Namen des Hohen Gerichts von Ileade, am heutigen Tage folgender Vollstreckungsbefehl vollzogen werden soll: Die Schneidersfrau Stephanie aus der Leutseelgasse wird für schuldig befunden, Ehebruch begangen zu haben. Für diese schwere Sünde befand das Hohe Gericht von Ileade, dieses Weib der Todesstrafe durch Verbrennen zuzuführen. Im Namens des Volkes von Ileade, in Namen des Hohen.....“

Doch weiter kam er nicht. Ein gellender Schrei ertönte über den ganzen Marktplatz und alle Menschen wandten sich um, um zu sehen, wo er herkam.

UUUnheil, UUUnheil droht dieser Stadt, wenn Ihr es wagt, eine Unschuldige bei lebendigem Leibe zu verbrennen“ - alle sahen erschrocken zu Hildegard hin, die sich plötzlich in eine Furie verwandelt zu haben schien. Sie hatte Schaum vor dem Mund, verdrehte die Augen und schrie mit heiserer Stimme aus vollem Hals:

Wenn ihr es waaagt, eine UUUUnschuldige zu verbrennen, so wird das Gottesgericht aus diesem Scheiterhaufen Blitz und Donner emporfahren lassen und mit diesem die Bewohner und die Stadt in ein Feuer nie gekannten Maßes stürzen. Bewahrt euch vor
dem Unheil und laßt ab von dieser Missetat, solange noch Zeit ist. Ihr seid gewarnt.“

Hildegard wirbelte um ihre eigene Achse und der Schaum vor ihrem Mund rann ihr über das Kinn auf den Kittel hinab. Sie schrie abermals mit Leibeskräften, so daß dieser Schrei den Umstehenden in Mark und Bein fuhr.

Um Gottes willen, Hildegard, ist der Teufel persönlich in dich gefahren“ raunte Paracelsus. „So komm doch zu Besinnung, du bringst dich und uns alle nur unnötig in Gefahr.“

Doch Hildegard schrie abermals: „Ihr Herren, das Unrecht wird euch und Eure Kinderskinder treffen. Ihr seid gewarnt.“

Ergreift diese Hexe und bringt sie auch zum Scheiterhaufen.“ schrie der Scharfrichter den Soldaten zu. Einige Soldaten stürmten durch die Menge auf Hildegard zu. Die Menge stob auseinander und auch Paracelsus und Hahnemann, die vergeblich versuchten, Hildegard vom Marktplatz wegzuzerren, mußten von ihr ablassen, da sie fuchsteufelswild um sich schlug und scheinbar nicht zur Besinnung zu bringen war. Die Soldaten packten Hildegard und zerrten sie zum Scheiterhaufen.

Aus der Hölle komm ich, in die Hölle geh ich“ schrie sie, „aber wenn ich gehe, nehme ich die Sünder mit, indem Blitz und Donner aus dem Scheiterhaufen fahren und die Stadt in Brand stecken werden.“

Die Ratlosigkeit von Paracelsus, Kaiser und Hahnemann wich einer Verzweiflung. Was war um Gottes willen plötzlich mit Hildegard los? Sie schien wie besessen oder wie von Sinnen zu sein. War ihr jetzt noch zu helfen?

Hildegard riß sich beim Scheiterhaufen angekommen kurz von einem der Soldaten los, der sie festhielt um dann am Fuße des Scheiterhaufens der Länge nach über die Holzscheite zu stolpern und auf diese zu fallen. Als ob Hildegard wirklich wie der Leibhaftige gerade der Hölle entstiegen wäre, wirbelte beim Fallen aus ihrem Kräutersäckchen eine schwefelgelbe Staubwolke auf.

Was machen wir jetzt bloß?“ fragte der Gelbe bereits der Panik nahe.

Die Soldaten hatten Hildegard bereits gepackt und fesselten sie ebenso wie die Frau zuvor an den Pfahl in der Mitte.

Setzt die Scheite in Brand!“ befahl der Scharfrichter und zwei Soldaten näherten sich dem Fuße des Scheiterhaufens mit je einer Fackel, um die Scheite zu entzünden. Kaum hielten sie die Fackeln an die Scheite, als plötzlich ein gewaltiger Knall und eine Stichflamme aus den Scheiten emporschoß und die beiden Soldaten umwarf.

Nun brach Panik unter der Bevölkerung von Ileade aus. Hatte die Hexe nicht eben noch damit gedroht, daß Blitz und Donner aus dem Scheiterhaufen fahren würden, wenn hier eine Unschuldige verbrannt würde? Die Leute waren entsetzt und stoben in alle Himmelsrichtungen auseinander. Auch die Wachsoldaten am Scheiterhaufen glaubten, daß ihr letztes Stündlein geschlagen hätte und flohen in Panik vom Marktplatz.

Jetzt oder nie“ schrie Paracelsus seinen Weggenossen zu, „Haltet eure Kräutersicheln bereit, wir müssen die Fesseln durchschneiden.“ Er wandte sich an seine verdutzten Kollegen, die mit offenen Mund das Schauspiel verfolgt hatten. Hahnemann war dann der erste, der langsam begriff, was hier vor sich ging. Er rief zu den anderen hinüber: „Helft uns, wir müssen diese beiden Frauen aus den Flammen befreien, die Zeit eilt. Beeilt Euch.“

Schon stürmten die Männer zum Scheiterhaufen, allen voran Paracelsus. Aber nicht alle Wachsoldaten hatten ihre Plätze so fluchtartig verlassen. Der Scharfrichter und ein weiterer Soldat standen mehr oder weniger verblüfft vor dem Scheiterhaufen und sahen, wie die kleine Gruppe von Männern zum Scheiterhaufen stürzte. Das Feuer loderte durch die Stichflamme ausgelöst bereits nicht unerheblich und würde in kurzer Zeit die beiden an den Pfahl gefesselten Frauen erreichen.

Halt, stehenbleiben.“

Der übriggebliebene Soldat stellte sich Paracelsus in den Weg und hielt ihm drohend seine Lanze vors Gesicht. Paracelsus drehte am Knauf seines Wanderstabs, entnahm ein Pulver und warf es mit dem Kommentar „Und das ist für dich“ dem Soldaten ins Gesicht. Dieser schrie vor Schmerz laut auf, krümmte sich, taumelte, aber fing sich wieder. Das Pulver hatte nur die linke Gesichtshälfte des Soldaten erreicht, ein guter Teil war an ihm vorbeigeflogen. Schon richtete der Soldat seine Lanze direkt auf Paracelsus in der Absicht, ihn mit einem kräftigen Stoß aufzuspießen. Wenn Paracelsus nicht zur linken Seite ausgewichen wäre, hätte ihn der Stoß auch direkt durchbohrt, aber trotzdem schaffte es der Soldat, ihm eine empfindliche Schnittwunde an der Hand beizubringen. Paracelsus taumelte und fiel, und gerade wollte der Soldat erneut zustoßen, als plötzlich Paracelsus einen gellenden Schrei hinter sich vernahm.

Dann ging alles sehr rasch. Hua To stand plötzlich vor dem Soldaten und mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er die Lanze des Gegners gepackt und in einem geschickten Hebel den Soldaten dadurch zu Fall gebracht. Er setzte zu einem gezielten Handkanten-Schlag auf den Rücken des Soldaten an, worauf sich dieser nicht mehr bewegte. Als der Scharfrichter dies sah, setzte er ebenfalls zur Flucht an, da er gegen die Überzahl der Männer keine Chance sah, etwas auszurichten.

Schnell, schneidet die Frauen los“ rief Hahnemann und stürmte bereits von hinten den Scheiterhaufen empor. Die Flammen waren bereits gefährlich nahe und die Schneidersfrau hatte durch den Rauch bereits die Besinnung verloren.

Na, das wurde aber auch Zeit, ich habe schon gedacht, daß bei der Feuerwehr der Groschen nicht mehr fällt“ preßte Hildegard schweißüberströmt hervor.

Meine Güte, Hildchen, wir haben alle gedacht, du stündest mit dem Teufel persönlich im Bunde, als du hier wie eine Besessene mit Schaum vor dem Mund herumgeschrieen hast“ sagte Hahnemann, als er die Fesseln von Hildegard und der Schneidersfrau durchschnitt. Der Gelbe nahm die bereits bewußtlose Schneidersfrau in Empfang, während Hahnemann Hildegard vom Scheiterhaufen half.

Jetzt aber nichts wie weg und Fersengeld geben.“ rief der Gelbe und sah sich um. „Da auf den Wagen mit den beiden Pferden, wir müssen sehen, daß wir so schnell wie möglich wieder nach Heilonias kommen.“

Paracelsus kam mit seiner verletzten Hand zum Karren und Hahnemann und Hua To halfen ihm beim Besteigen, nachdem sie die beiden Frauen emporgehoben hatten.

Der Gelbe saß schon auf dem Wagenbock und trieb die Pferde an.

Hü, schneller, schneller...“

Hahnemann sah sich um: „Wo sind eigentlich Kleinzwerg und die Furonier?“

Die Helden sind geflüchtet, nachdem der Blitz aus dem Scheiterhaufen emporschoß.“

Ah, doch etwas abergläubisch, die Herren Akademiker.“

Mein lieber Hua To, herzlichsten Dank für die Rettung in letzter Minute. Einen zweiten Lanzenstoß hätte ich sicher nicht überlebt.“ wandte sich Paracelsus, der notdürftig die Schnittwunde seiner Hand versorgte, an den Chinesen.

Es war mir eine Ehre, einen so berühmten Mann wie Euch vor dem Tode zu retten. Das werde ich meinen Enkeln noch erzählen können. Schließlich war es für mich ein leichtes, den bereits verletzten Soldaten zu entwaffnen.“

Ja, Ihr scheint in Fernost ja einiges von der Kampfkunst Mann gegen Mann zu verstehen. Habt Ihr ihn eigentlich getötet?“

Nein, nur zeitweise unter Schmerzen gelähmt. Die Lähmung und der Schmerz werden vergehen und er wird sich wieder bewegen können. Es gibt bestimmte Punkte am Körper, die solche Wirkungen entfalten können. Ja, ich war lange Jahre in einem Kloster, in dem ich in die Künste des Kampfs eingeweiht worden bin. Nicht umsonst, wie man nun sieht.“ entgegnete Hua To.

Aber eine Frage sei mir doch gestattet“, wollte er noch wissen, „was habt Ihr, ehrwürdiger Paracelsus, dem Soldaten denn ins Gesicht geworfen?“

Ach das, ja, glücklicherweise hatte ich zerriebene Blätter des Giftsumachs dabei, botanisch auch unter Rhus toxicodendron bekannt. Bereits leichte Berührungen mit Kraut und Pflanze führen zu einem schmerzhaften Hautausschlag. Nur hätte ich vielleicht vorher noch etwas Zielwasser trinken sollen.“

Na, ist ja noch mal gut gegangen.“ sagte Hahnemann.
„Hier nimm mal für deine Schnittwunde ein Globuli Staphisagria LM 3.“ und er reichte Paracelsus ein Zuckerkügelchen. „Gib der Schneidersfrau zwei Globuli vom Eisenhut, Aconitum LM 1 und sie müßte eigentlich gleich wieder zu Bewußtsein kommen.“

Aber Hildchen, wie hast denn du das mit dem Schaum vor dem Mund hingekriegt? Das war ja wirklich bühnenreif. Wir waren zu Tode erschrocken. Vor allen Dingen, als sie dich dann auch noch zum Scheiterhaufen gezerrt haben.“ fragte sie Hahnemann.

Tja, Gleiches mit Gleichem, mein Lieber. Welches Mittel hat Schaum vor dem Mund, setzt sich zugleich für die Schwachen und Gepeinigten ein ohne Rücksicht auf eigene Verluste und heilt Verbrennungen, bzw. beugt ihnen und einer Bewußtlosigkeit auf dem Scheiterhaufen vor?“ fragte sie zurück.

Ah, Causticum, na klar. Das war ja wirklich ein Geistesblitz, meine Liebe.“

Hua To sah etwas unsicher in die Runde und fragte: „Aber der Blitz und das plötzliche Feuer aus dem Scheiterhaufen? Das waren doch höhere Kräfte, oder?“

Das waren die Kräfte der Kräuter, mein Lieber“ belehrte ihn Paracelsus.

Die Kräfte der Kräuter?“ fragte Hua To verunsichert zurück.

Nun, vielleicht ist dir ja aufgefallen, daß Hildegard kurz bevor sie an den Pfahl gebunden wurde, wahrscheinlich nicht ganz unabsichtlich auf die Holzscheite am Fuße des Scheiterhaufens gefallen ist und auf einmal eine gelbe Staubwolke zu sehen war?“

Ja, richtig. Und?“ fragte Hua To weiter.

Unsere kleine Hexe hat hier mit Hexenmehl gezaubert, würde ich sagen, nicht wahr?“ und er blickte lächelnd zu Hildegard hinüber.

Hexenmehl?“

Ich habe darüber in meinen „Chronischen Krankheiten“ geschrieben.“ antwortete Hahnemann. “Die Sporen des Bärlapp in eine Lichtflamme gestreut, erzeugen ein Blitzfeuer. Die Sporen haben eine schwefelgelbe Farbe und sind auch unter dem Namen Hexenmehl bekannt. Nichts anderes hatte Hildegard am Fuße des Scheiterhaufens verloren und nichts anderes hat sich mit Wucht entzündet, als die Soldaten ihre Fackeln daran hielten.“

Hua To sagte: „Ich bewundere aufrichtig die Kraft der westlichen Kräuter und den Todesmut und die Weisheit der westlichen Frauen. Meine Hochachtung.“ Und er verbeugte sich abermals tief vor Hildegard.